fakd-Newsletter vom 28. Mai 2020
die Corona-Fallzahlen steigen und die aktuelle Situation erfordert die volle Aufmerksamkeit aller Verantwortlichen. Die Erfahrungen aus dem Frühjahr sind jetzt wertvoll.
Dr. Ralph Charbonnier wechselt gerade vom Kirchenamt der EKD in seine neue Aufgabe als geistlicher Vizepräsident der Hannoverschen Landeskirche. Wir danken ihm für seine Einsichten zum Verständnis von Selbstbestimmung als zentralen Wert dieser Zeit – in all seinen Begrenzungen. Dass es auch deshalb umso wichtiger ist, als Führungskraft reflektiert und orientiert unterwegs zu sein, zeigt Sibylle Vorndran mit ihrem Blick in den Werkzeugkoffer.
Jeden Tag versuchen wir auch in der Führungsakademie den nahezu täglich wechselnden Herausforderungen und dem Anspruch an unsere Qualität gerecht zu werden. Sehr kurzfristig haben wir z.B. ein Seminar in ein Online-Format überführt: Das Christliche Menschenbild im Zeitalter der Digitalisierung. Vielleicht ist das auch für Sie in dieser Weise noch einmal neu interessant? So, wie viele unserer neuen Online-Veranstaltungen, z.B. ein neues Angebot mit Dr. Birgit Klostermeier zu Transformationen in modernen Organisationen.
Bitte schauen Sie auf unser Programm für das Jahr 2021!
Führen in der Corona-Krise: Was habe ich gelernt?
Corona – die vierte Kränkung der Menschheit?
Corona lässt uns „Selbstbestimmung“ neu verstehen!
Dr. Ralph Charbonnier, ab 01.11.2020 Geistlicher Vizepräsident der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers
Wird man das Corona-Virus (stellvertretend für viele Viren) im Rückblick einmal als die vierte Kränkung der Menschheit bezeichnen? Drei Kränkungen haben wir akzeptiert: Die Erde, nicht mehr Mittelpunkt der Welt. Der Mensch, kein Wesen ganz eigener Art. Das Bewusstsein, nicht Herr im Haus. Und jetzt ein kleines Virus: Ende der Selbstbestimmung, des Leitbegriffs der Moderne?
Ja und nein. Auf das Verständnis kommt es an. Corona lehrt uns, „Selbstbestimmung“ neu zu verstehen:
- Selbstbestimmung nicht ohne Fremdbestimmung der Natur (an der Natur vorbei)! Immanuel Kant stellte Autonomie gegen Heteronomie, ein Handeln aus Vernunft gegen ein Bestimmtwerden durch Natur. Natur als Widerpart der Freiheit. Ist es vernünftig, Viren als mikroskopisch kleine Naturpartikel über uns herrschen zu lassen? Sicher nicht. Wäre es vernünftig, sie auszublenden? Sicher auch nicht. Viren als Teil einer Kultur-Natur verstehen lernen, achten. Virale Fremdbestimmung bekämpfen, und wo dies nicht möglich ist, mit ihr leben lernen – als Ausdruck von Selbstbestimmung. Gefragt ist Öko-logie als Lehre der Zusammenhänge.
- Selbstbestimmung nicht ohne Leib! Pandemie Phase 1: Leben retten. Verständlich. Richtig. Pandemie Phase 2: Leiden unter Abstandsgeboten. Jugendliche opponieren, Alte resignieren. Pandemie Phase 3: Mit der Einsicht umgehen, dass Leben nur leiblich zu retten ist. Schüler*innen Gemeinschaft erleben lassen, Alten Besuche ermöglichen – sicher mit Einschränkungen, aber nicht rigoros. Gefragt ist Leibphilosophie, die die Seele mitdenkt.
- Selbstbestimmung nicht ohne die Anderen! Ohne Mundschutz in die Öffentlichkeit gehen – vermeintlich „ganz selbstbestimmt“? Solche gefährden sich selbst und andere. Tun es andere, wäre man zum Ausweichen gezwungen – Fremdbestimmung. Selbstbestimmung braucht Mitdenken, Mitfühlen, Solidarität. Gefragt ist das Wissen um Soziales.
- Selbstbestimmung nicht monoperspektivisch! Virologie und Epidemiologie führten das Wissenschaftsranking an. Zu Recht. Bis Psychologie, Pädagogik, Sozialwissenschaften, Volkswirtschaftslehre, auch Praktische Theologie und Seelsorgetheorie ihr Feld reklamierten. Auch zu Recht. Es ist klug, auf Zeit einer Perspektive den Vorrang zu geben. Es wäre dumm, dies auf Dauer zu stellen. Wer eine Wissenschaft monopolisiert, provoziert Widerstand – wiederum zu Recht. Gefragt ist Transdisziplinarität.
- Selbstbestimmung nicht ohne Geschichtsbewusstsein! Angesichts der Bedrohungslage nur auf Instrumente schauen, die vor Augen liegen, wäre kurzsichtig. Selbstbestimmung sieht anders aus: Sie sieht die ökologischen Zusammenhänge, versteht Leben nur als Leib-Seele-Einheit, weiß um das Wechselspiel von Person und Gemeinschaft, schätzt die Vielfalt der Perspektiven! Gefragt ist ein Blick auf Erfahrungen der Tradition.
- Selbstbestimmung nicht ohne „Mut zum Sein“! Ein Virus trifft zufällig und rücksichtslos die Existenz. Es kann menschliches Leben beenden. Von jetzt auf gleich. Angst! Wer die Gefahr verleugnet, läuft blind und als Gefährder durch die Welt. Wer hysterisch reagiert, hält das nicht lange durch. Wer sich daran gewöhnt, verpasst die Verheißung, die den Verzweifelten gilt. Gefragt ist das Wort vom Kreuz, im Jahr 2020 (und 2021ff).
Selbstbestimmung als „Souveränität, die die eigene Abhängigkeit integriert“, so Gernot Böhme in seiner Praktischen Philosophie, die er als „Kompetenz zur Lebensbewältigung“ versteht. So gesehen kann uns die Kränkung zu besserer Einsicht führen. Mit den drei Kränkungen, dass die Erde als ein Planet neben anderen im All anzusehen ist, der Mensch Teil eines Schöpfungsprozesses ist, die Seele Bewusstes und Unterbewusstes kennt, haben wir gut zu leben gelernt. Warum soll das nicht für „Selbstbestimmung“ gelten, die souverän mit Fremdbestimmung umzugehen weiß, auch wenn sie mikroskopisch klein daherkommt.
„Selbstbestimmung“ als Zentralbegriff für modernes „Führen und Leiten“. Selbstbestimmung verstanden als Souveränität, Abhängigkeiten zu integrieren, mit „Mut zum Sein“. Gut evangelisch.
Aus dem Werkzeugkasten
Die eigene Rollenklarheit und Wirkungskraft reflektieren und Mitarbeitende orientieren
Sibylle Vorndran, Beratung, Coaching und Supervision DGS, Training, Berlin
Die 2019 verstorbene Unternehmensberaterin Elisabeth Ferrari beschreibt in ihrem Buch „FührungsKraft entwickeln“ (Ferrari Media, Aachen 2016) den Kern des Führungswissens so:
„Starke Entscheidungen in schwierigen Situationen treffen und den Mitarbeitern Orientierung geben... ohne den Anspruch an sich selbst zu haben, es immer zu können.“
Hauptaufgabe einer Führungskraft ist es also, für Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen Mitarbeitende „einen guten Job“ machen können, das heißt: zur gemeinsamen Aufgabe der Organisation oder des Teams beitragen und dabei gesund bleiben können. Noch besser wäre es, die Mitarbeitenden können sich aufgrund des Wirkens der Führungskraft dabei noch weiterentwickeln, ihre Potentiale entfalten und Dinge schaffen, von denen sie selbst nicht geglaubt haben, dass sie sie können.
Um als Führungskraft diesem Anspruch im eigenen Verantwortungsbereich gerecht zu werden oder um Veränderungen erfolgreich umzusetzen, braucht es zunächst eine Reflektion der eigenen Haltung und des eigenen Handelns. Schlüssel ist also die eigene Person. Nicht selten braucht es sogar eine Neuausrichtung, also eine eigene Veränderung, bevor Veränderungen in der Organisation wirksam gestaltet werden können.
Die gute Nachricht ist, dass moderne Hirnforschung zeigt, dass sich Menschen bis ins hohe Alter verändern, neue Netzwerke im Gehirn und dadurch neue Fähigkeiten entwickeln können. Diese Neuroplastizität genannte Veränderbarkeit des Gehirns braucht aber Aufmerksamkeit und regelmäßige Reflexion. Angst oder Zwang hingegen verhindern diese Neuroplastizität (vgl. Sebastian Purps-Pardigol, Führen mit Hirn. Frankfurt/Main 2015).
Reflektionsfragen, die Ihnen helfen können, Ihre eigene Rolle als Führungskraft in einem ersten Schritt besser zu beschreiben und wirksam zu leben, könnten so aussehen:
- Was ist mein Selbstverständnis, wozu wurde ich als Leitung/Führungskraft besetzt? (Bitte keine reine Aufgabenbeschreibung)
- Wozu ist meine Funktion im Gesamtgefüge meines Bereiches/meiner Abteilung notwendig? Welchen Beitrag stelle ich in diesem Gesamtgefüge dar?
- Welche Werte sind mir wichtig und wie spüren das meine Mitarbeitenden im Alltag?
- Was genau würde fehlen, wenn ich meine Rolle als Führungskraft nicht leben würde? Was würden meine Mitarbeitenden vermissen, wenn ich länger nicht da wäre?
- Was will ich in meiner Führungsrolle aus tiefster Überzeugung in die Welt bringen? Was kann ich dafür beibehalten und woran will ich dafür arbeiten?
- Und mit Blick von außen: Wenn ich Mitarbeiter*in bei Ihnen wäre: Woran messen Sie, ob ich erfolgreich bin? Was muss ich tun, um von Ihnen anerkannt zu werden? Was, um Sie zu verärgern?
Im zweiten Schritt ist es wichtig, dass Sie Ihre Mitarbeitenden dazu orientieren, ihnen also Ihre Haltung und Ihr Verständnis von Ihrer Führungsrolle nahebringen und anschließend dazu miteinander ins Gespräch kommen. Dafür eignen sich schon 15 Minuten zu Beginn eines Teammeetings oder auch ein Themenblock auf einem Klausurtag.
Gerade in turbulenten und unsicheren Zeiten, wie wir sie gerade während Corona erleben, ist die regelmäßige Orientierung Ihres Teams unabdingbar, um Klarheit und Transparenz zu schaffen sowie einen Rahmen für die gemeinsame Aufgabe zu geben. Auch wenn Sie zeitweise selbst nicht alle Antworten parat haben, veröffentlichen Sie das und machen Sie Ihr Team im besten Fall zu Ihrem Partner. Verpasst man als Leitung diese regelmäßige Orientierung oder denkt sich „das müssen die Leute doch wissen...“, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wilde Gerüchte die Runde machen, Mitarbeitende mit jeder kleinen Frage zu Ihnen kommen statt eigene Lösungen zu entwickeln, immer öfter Konfliktpunkte unter den Kolleg*innen entstehen oder sich mehr und mehr Mitarbeitende krank melden.
Auch wenn Ihnen dies zunächst mühsam erscheint und anfänglich etwas Zeit kostet: Orientierung schafft Sicherheit und ermöglicht Mitarbeitenden, eigenverantwortlich einen guten Job zu machen. Als Führungskraft kann ich andere nur dann orientieren, wenn ich mir zunächst selbst Klarheit über meine Rolle und meine Erwartungen verschafft habe und immer wieder verschaffe.
Angebote der fakd
Jetzt Online! Bitte noch anmelden: Update Theologie für Führungskräfte online - Das christliche Menschenbild im Zeitalter der Digitalisierung – am 29./30. Oktober 2020
Da die Pandemie andauert und die Fallzahlen steigen, haben wir beschlossen, dieses Angebot nicht mehr in Präsenz auf Schwanenwerder durchzuführen, sondern in ein Online-Format zu überführen. Am 29.10.20 von 11 bis 18 Uhr (mit einigen Pausen zwischendurch) sowie am 30.10.20 von 09 bis 13 Uhr können Sie Impulsvorträge von Prof. Dr. Elisabeth Gräb-Schmidt (Ethik, Tübingen), Prof. Dr. Kristin Merle (Praktische Theologie, Hamburg) sowie Dr. Dr. h.c. Volker Jung (Kirchenpräsident der EKHN, Darmstadt) zu ausgewählten Aspekten dieses Themenzusammenhangs hören, mit ihnen und dann auch miteinander in einen moderierten Austausch kommen. Wir würden uns sehr freuen, wenn diese Formatänderung auch Ihnen entgegenkommt. Der neue Preis beträgt nur noch EUR 280,-.
Auf unsere Online-Veranstaltungen, in denen wir Sie kompetent und kompakt in interessante und aktuelle Themen und Diskurse einführen möchten, weisen wir besonders hin:
- Mit Wertschätzung führen (Christine Ursel)
am 2. November 2020 - Auf Sicht fahren mit EFFECTUATION (Christine Ursel)
am 03. November 2020 - Strategie finden und in die Zukunft führen (Dr. Lars Charbonnier)
am 23. November 2020 - Wer will ich sein? Nachdenken über die eigene Führungsrolle (Michael Zirklik)
am 24. November 2020 - Systemisches Management?! Eine Einführung (Dr. Lars Charbonnier)
am 25. November 2020 - Jetzt online: Fachtag: Vorwärts zu den Wurzeln
am 26. November 2020
Bitte schauen Sie auf unser Programm für 2021 und melden sich an:
- Basiskurs Führungskommunikation (3 x 2 Tage)
ab 21. Januar 2021 - Intensivkurs Betriebswirtschaft im ersten Halbjahr (3 x 3 Tage)
ab 29. März 2021 - Hinterm Horizont geht’s weiter, Bilanzierungsworkshop
am 25.-27. Januar 2021 - Die letzte Berufsdekade als Chance für eine Neuausrichtung
am 8.-10. Februar 2021 - Gut aufgestellt führen. Ein kollegiales Erkundungslab zu Transformationen in Kirche und Diakonie.
Online-Format vom 19.02. – 28.06.2021 mit Dr. Birgit Klostermeier - Transformationsprozesse in sozialen Organisationen gestalten
am 24.-25. Februar 2021
… und sonst noch
- Das Institut für Diakoniewissenschaften und Diakoniemanagement IDM in Bielefeld führt am 27. November das 17. Forum Diakoniewissenschaft durch: Neue Organisationsformen in der Diakonie und ihre treibenden Kräfte
Digitalisierung, Teilhabeorientierung (BTHG), Fachkräftegewinnung http://www.diakoniewissenschaft-idm.de/my-calendar/?mc_id=7 - Dr. Lars Charbonnier und Peter Burkowski sind gebeten worden, eine Andacht zum ausgefallenen Berlin-Marathon zur Verfügung zu stellen:
Wir laufen trotzdem! Gott sei Dank! https://germanroadraces.de/?p=159953 - Die Arbeitsstelle midi hat eine Broschüre zusammengestellt: Anders Weihnachten, Inspirationen für Kirche und Diakonie: https://www.mi-di.de/materialien/anders-weihnachten
Herzliche Grüße