fakd-Newsletter vom 09. Juni 2021
Geht es gerade zurück ins ‚echte Leben‘? Oder stecken wir vielmehr mittendrin – mittendrin gerade in den Fragen, die die Pandemie aufwirft. Ein verantwortlicher Umgang mit unserer Zukunft braucht Reflexionsräume, wie wir unsere Erfahrungen, die uns in dieser Pandemiezeit geprägt haben, umsetzen werden. Dabei wird es wichtig sein, die unterschiedlichen Perspektiven zu würdigen und in das leitende Zukunftshandeln einfließen zu lassen.
Dr. Stephanie Springer, Präsidentin des Landeskirchenamtes der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und Mitglied des Rates der EKD zeigt uns in diesem Newsletter, wie sich für ihr persönliches Führungshandeln in der Zeit der Pandemie theoriebasiertes Wissen als eine tragfähige Orientierungshilfe erwiesen hat, um situativ flexibel und zugleich strukturiert auf divergierende Bedürfnisse der Mitarbeitenden steuernd einzuwirken.
Unser Kollege und Studienleiter Tilman Kingreen stellt Instrumente zur Teamentwicklung in Konfliktsituationen vor, die Leitungsverantwortliche darin unterstützen, konflikthafte Situationen im Team zu gestalten.
Wir danken Ihnen für alle Unterstützung und positiven Reaktionen, die wir von Ihnen erhalten haben!
Unsere Präsenzveranstaltungen sind wieder möglich. Bitte schauen Sie auf unser aktuelles Programm für das Jahr 2021. Wir haben mit unseren Weiterbildungen, Seminaren und weiterhin bestehenden Online-Veranstaltungen für Sie und Ihre beruflichen Herausforderungen ein interessantes Angebot.
1. Zukunft gestalten – Worauf es jetzt ankommt!
Von Dr. Stephanie Springer– Präsidentin des Landeskirchenamtes in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers
Anfang 2020 bin ich auf den schmalen Band „New Work needs Inner Work“ von Joanna Breidenbach und Bettina Rollow gestoßen. Die Sammlung hilfreicher Theoriemodelle und praktischer Hinweise zielt vorrangig auf Veränderungsprozesse in Organisationen und die Einübung von Selbstorganisation in Teams.
Die Lektüre verdeutlicht, wie sehr das Arbeiten unter den Bedingungen der Corona-Krise als Übungsfeld für die Transformationsfähigkeit unserer Strukturen betrachtet werden kann. Kernthese ist, dass der Erfolg bei der Veränderung von Strukturen und Prozessen maßgeblich – und im Verhältnis zum Grad der Deregulierung wachsend - von der Arbeit auf der individuellen und kollektiven „inneren“ Seite der Arbeitsbeziehungen abhängt.
Die institutionalisierte Reflexion, die Arbeit an der Haltung und der Organisationskultur stehen damit im Zentrum der Führungsarbeit.
Aus meiner Sicht ist das die Erfahrung des vergangenen Jahres: Die zahllosen Anpassungen der Organisationsstrukturen und äußeren Arbeitsbedingungen an die jeweilige pandemische Situation waren aufwändig und oft kompliziert, aber letztlich keine Entscheidungen des Unentscheidbaren (Heinz von Foerster). Die eigentliche Führungsherausforderung bestand im Schaffen und Halten eines Zustands, der die gerade in der Krisenzeit extrem unterschiedlichen und zugleich dynamischen Bedürfnisse von ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Verlässlichkeit auf der einen Seite und Autonomie, Experimentierfreude und Wachsen auf der anderen Seite aufnehmen kann.
Unsere Grundbedürfnisse: Sicherheit und Selbstausdruck, Keks Ackermann CC BY-NC

Dieses Pendeln zwischen den beiden Polen Sicherheit und Autonomie veranschaulicht das Modell von Keks Ackermann. Auf ein äußeres Krisengeschehen angewendet, beschreibt es, wie jeder Einzelne in seiner eigenen Entwicklungsgeschwindigkeit vom Fragen, Experimentieren und Wachsen auf der rechten Seite hin zu einer neuen Sicherheit durch Erkenntnisse, und Vertrauen in die getroffenen Entscheidungen gelangt.
Wir haben im letzten Jahr auf neue Fragen neue Antworten gefunden und für einen kurzen Moment Verlässlichkeit und neue Sicherheit gespürt, bis sich die Umstände wieder geändert und neuen Veränderungsdruck erzeugt haben.
Während einige mit dem zuweilen rasanten Rhythmus innerlich gut mithalten konnten und schnell in immer neue Situationen wieder sicher und selbstbestimmt agierten, hatten andere die Adaption auf die alte Situation noch nicht abgeschlossen und reagierten heftig auf die als Überforderung empfundene neue Situation. Ihr Bedürfnis nach verlässlicher Orientierung „von oben“ wurde wiederum von der anderen Gruppe als paternalistisch abgelehnt. Die konträren Reaktionen der Gesellschaft auf die staatlichen Maßnahmen bzw. der Kirchengemeinden auf die Handlungsempfehlungen des Landeskirchenamts – den einen zu viel, den anderen zu wenig Regulierung – bilden dies ab. Das Modell weckt Verständnis für unterschiedliche Zustände und Anpassungsgeschwindigkeiten. Hierauf kann Führung gezielt eingehen, ohne dass pauschal eine bestimmte Gruppe als rückwärtsgewandt abgestempelt wird. Selbst wenn in einer Dilemmasituation die Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten gering ist, können die unterschiedlichen Bedürfnisse thematisiert werden.
Rückblickend fügen sich die größeren Interventionen, mit denen wir im Landeskirchenamt gemeinsam die „innere Seite“ bearbeitet haben, in die Krisenschleife ein: Im Sommer haben wir in einer online-Befragung das digitale Arbeiten und Führen evaluiert und angepasst (Sicherheit, Vorhersagbarkeit). Im Herbst haben wir das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt durch Freiluftgottesdienste und Adventspäckchen. Und Anfang dieses Jahres haben wir das Experimentieren und die Eigeninitiative mit einem digitalen Ideenwettbewerb gegen Einsamkeit gefördert.
Die Corona-Pandemie hat auch die kirchlichen Organisationen nachhaltig verändert. In der stets auszutarierenden Balance von Sicherheit und Autonomie können wir experimentierfreudiger und selbstorganisierter den künftigen Herausforderungen begegnen.
2. Angebote der fakd
Wir entwickeln laufend neue Angebote in unseren unterschiedlichen Kategorien der Weiterbildungen, Seminare, Tagungen, Werkstätten und reinen Online-Veranstaltungen. Gern möchten wir auf einige der neuen und bewährten Angebote an dieser Stelle wieder ausdrücklich hinweisen – eine Anmeldung ist bei all diesen Veranstaltungen gern noch möglich.
Neue Impulse gewinnen Sie z.B. hier:
- Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? 09.-10.08.2021, Erfurt
- Veränderung leicht(er) gemacht. Weiterbildung zu Transformation von Person und Organisation, 27.09.2021–28.04.2022, Berlin
- Update Theologie für Führungskräfte - Vakanz von Relevanz?11.-12.10.2021, Berlin
- Anpassungsfähig und werteorientiert arbeiten und dienend führen - Agilität und Servant Leadership,14.-15.10.2021, Berlin
- Basiskurs Teamentwicklung, 27.10.2021–11.02.2022, Berlin
Und für alle, die es kompakt mögen, unsere Online-Formate:
- Eine Online-Reise für Frauen, die es wissen wollen: Führung AHOI ?! Frauen nehmen Kurs auf...16.08.2021–17.09.2021, online
- Auch Online-Meetings lebendig und wirkungsvoll moderieren!20.-26.08.2021, online
- Intensivkurs Betriebswirtschaft, 30.08.2021, online
- Achtsamkeit und Resilienz in der Führung, 08.10.2021, online
3. Aus dem Werkzeugkasten:
Teamentwicklung in Konfliktsituationen
Von Tilman Kingreen, Studienleitung fakd
Konflikte gehören zur Arbeit im Team. Ihr Umgang reicht vom Nicht-wahr-haben-wollen und Verleugnen bis zur dauerhaften Analyse aller Konfliktursachen. Prägend auf den Umgang mit Konflikten wirkt die Teamkultur. Auch wenn sie von allen Teammitgliedern getragen wird und die Teamleitung durch eine flache Hierarchie geprägt ist, so liegt in Konfliktsituationen eine besondere Verantwortung bei den Personen in Leitungsverantwortung.
Konflikte zu leugnen stellt im Führungshandeln einen Kunstfehler dar. Doch gerade deshalb neigen viele dazu, bei Konflikten auf externe Hilfe zurückzugreifen, etwa in Form von Teamsupervision. Das ist sinnvoll, wenn Konflikte eine Stärke erreicht haben, dass der unterstützende Blick von außen hilfreich ist. Konflikte sollten allerdings nicht in eine Delegationsdynamik geraten. Der Aufbau einer internen Konfliktkultur trägt dazu bei, eine nachhaltige Teamentwicklung zu fördern. Haben Konflikte ihren Platz, bildet sich im Team ein spezifisches Wir-Gefühl aus. Für Leitende gibt es einige hilfreiche Methoden, Konfliktsituationen im Team zu gestalten.
Drei Methoden werden Ihnen vorgestellt
1. Am Anfang war der Unterschied
Konflikte sind am Anfang nur Unterschiede. Unterschiede stiften einen Nutzen. Sie ermöglichen verschiedene Sichtweisen und lassen gemeinsame Lösungen finden.
Dazu ist es wichtig, Konflikte von Krisen zu unterscheiden. Konflikte haben etwas Aufdeckendes. Sie machen sichtbar, was sonst in Gefahr stehen würde, übergangen oder vergessen zu werden. Konflikte müssen geschützt werden vor einer Dynamik der Katastrophisierung. Konflikte sind kein Drama. Sie folgen vielmehr einer Dramaturgie der Sichtbarwerdung. Darum ist es wichtig, dass alle mitspielen dürfen, um den Konflikt auf die Bühne der gemeinsamen Wahrnehmung zu bringen. Im Unterschied zu einem Konflikt sind Krisen hingegen deutlich anspruchsvollere Situationen. Bei ihnen werden zusätzliche Verhaltensweisen und andere Einstellungen zur Bewältigung der aktuellen Situation notwendig. Sie müssen neu erlernt werden, um überhaupt wieder Stabilität zurückzugewinnen.
Praxishilfe: Geben Sie ohne konkreten Anlass Ihrem Team den Raum, miteinander über die Frage ins Gespräch zu kommen: „Was ist für mich ein Konflikt? Und was unterscheidet den Konflikt von einer Krise?“
2. Niveau der Handlungsfähigkeit
Die Handlungsmöglichkeit aller Beteiligten in einem Team gilt es zu stärken. Sie hängt davon ab, wie die jeweiligen Teammitglieder ein Thema oder eine Situation selbst einschätzen. Ein erster Überblick dazu kann helfen, den Grad der gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten auszuloten und damit ein differenziertes Stimmungsbild zu erstellen.
Eine solche ressourcenorientierte Diagnose macht das Potential des Teams deutlich. Gemeinsam können konkrete Verabredungen getroffen werden, welches Thema in welchem setting bearbeitet werden soll. Die Diagnose hilft auch, den Unterstützungsbedarf zu erkennen und konkret zu identifizieren.
Um das Niveau der Handlungsfähigkeit zu erfassen, werden folgende Kategorien eingeführt: Handelt es sich bei dem Thema um ein „Problem“, einen „Konflikt“ oder eine „Katastrophe“. Der Begriff der „Krise“ wird bewusst nicht gewählt, da weniger die existentielle Bewertung als vielmehr der individuelle Erlebnisgehalt im Bezug zum jeweiligen Thema herausgearbeitet werden soll.
Die drei Kategorien werden näher erklärt. Ist ein Thema oder eine Aufgabe ein „Problem“, so kann durch die gemeinsame Reflexionsfähigkeit im Team die Handlungsfähigkeit wieder hergestellt werden. Handelt es sich um einen „Konflikt“, so ist eine gemeinsame Verhandlungsfähigkeit gefordert. Hier sind die Teilnehmenden emotional stark engagiert, handeln aber jeweils hoch verantwortlich und können sich eine innere Distanz zum Thema bewahren. Bei einer „Katastrophe“ stehen die schutz- und unterstützungsbedürftigen Erwartungen im Vordergrund. Belastende Emotionen haben sich verselbstständigt. Die Teilnehmenden fühlen sich emotional überfordert. Zur Stabilisierung der Situation sind Sofortmaßnahmen erforderlich.
Zur Visualisierung werden an einer Pinnwand alle drei Kategorien in Spalten aufgeführt. Es hat sich bewährt, diese Kategorien um drei weitere, sehr alltagspraktische, Erfahrungen zu ergänzen, um das gesamte Erlebnisspektrum im Team zu erfassen und als Ressource verfügbar zu halten.
Ergänzend eingeführt werden deshalb noch die Kategorie
* „Sensation“: alle sind positiv überrascht vom Ausmaß, in dem Erwartungen vom realen Geschehen übertroffen wurden.
* „Selbstverständlichkeit“: eine Situation ist fraglos so, wie es sein soll, Kommunikation als Einheit von Mitteilen und Verstehen durch Rück- und Nachfragen gelingt.
*„Aufgabe“: alle Rahmenbedingungen zur Erfüllung der Aufgabe sind vorhanden. Es gibt eine deutliche Soll-Ist-Differenz, die aber über Handlungsschleifen aufgelöst werden kann.
Gemeinsame Arbeit an der Pinnwand.
Folgende Themen erlebe ich als...

Praxishilfe: Geben Sie Ihrem Team den Raum, gemeinsam einen Eindruck zum Niveau Ihrer Handlungsfähigkeit als Team zu gewinnen. Diese Visualisierung ist in jedem Stadium eines Konfliktes, also auch bevor ein Thema als ein Konflikt sichtbar wird, sinnvoll. Mit dieser präventiv zu verstehenden Methode stellen sich alle Teammitglieder der inhaltlichen Verantwortung. Auf dieser Basis kann gemeinsam geklärt werden, welche Prozesszuständigkeit bei welchem Thema notwendig ist und ggf. organisiert werden muss. Themen werden sichtbar und sie werden in ihrem Bezug zu konkreten Handlungsmöglichkeiten erkennbar. Diese Verknüpfung wirkt klärend und zugleich ressourcenaktivierend. Die Teamkultur wird reicher an Handlungsgewissheit. Das Team erlebt sich als Akteurin ihrer eigenen Entwicklung.
3. Dia-Logos. Den Zwischenraum gestalten
Die Basis für jede Konfliktbearbeitung durch Leitungspersonen bildet die Gesprächsführung. Eine gute Gesprächsführungskompetenz trägt wesentlich dazu bei, dass ein Dia-log entsteht, die „Worte wieder fließen“, gewohnte Rituale und wiederholende Erklärungen unterbrochen werden. Der Zwischen-Raum - ein Dia-Logos - verhilft, miteinander zu denken. Für die eigene Gesprächsführungskompetenz ist es förderlich, zuerst den eigenen Dia-Logos zu pflegen. „Was passiert mit mir, wenn die Teambesprechung aus meiner Sicht aus dem Ruder läuft? Was nehmen ich an mir wahr? Welche Gedanken schießen mir durch den Kopf? Woran erkenne ich an mir, dass die Teambesprechung konstruktiv verläuft? Wie verhalte ich mich dann?“ Neben einem persönlichen Coaching können folgende Dialog-Regeln hilfreich sein.
Praxishilfe: Folgende Dialog-Regeln stärken bei Konflikten die Teamkultur
* Die Haltung einer: s Lernenden verkörpern. Die Lernbereitschaft stiftet zu mehr Anfänger: innengeist im Team an.
* Radikaler Respekt: „Ich versuche die Welt aus deiner Perspektive zu sehen.“
* Sprich von Herzen und fasse Dich kurz. Nur das sagen, was wirklich wichtig ist.
* Gezielte Verlangsamung als Signal einsetzen: „Sie bekommen die Zeit, sich und den anderen beim Denken zuzuhören.“
Literatur:
Bohm, David: Der Dialog. Klett-Cotta, Stuttgart 2008.
Rappe-Giesecke, Kornelia: Triadische Karriereberatung. Die Begleitung von Professionals, Führungskräften und Selbstständigen. EHP, Bergisch Gladbach 2008.
Simon, Fritz B.: Einführung in die Systemtheorie des Konfliktes. Carl Auer, Heidelberg 2010.
Wolfgang Kühl/Andreas Lampert/Erich Schäfer: Coaching als Führungskompetenz. Konzeptionelle Überlegungen und Modelle, V&R, Göttingen 2018, S.68-109.
… und sonst noch
- Der Kongress „WIR & Hier“ findet vom 3.-4. September 2021 in Hamburg statt: https://www.wirundhier-kongress.de/
- Am 27. November findet das 17. Forum Diakoniewissenschaft online statt: Neue Organisationsformen in der Diakonie und ihre treibenden Kräfte
Herzliche Grüße
Ihr Team der Führungsakademie für Kirche und Diakonie
